Nach Oben
Themen Industrie 4.0 Themenfelder
Zurück

Digitaler Zwilling - Der Weg zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit

4. Juli 2024
Der Digitale Zwilling etabliert sich langsam, aber kontinuierlich in den Unternehmen. Digitale Zwillinge können verschiedenste Aufgaben in produzierenden Unternehmen übernehmen. Stellvertretend sei hier die Optimierung der Produktqualität, frühzeitige Fehlererkennung, dynamische Produktionsplanung und Steuerung wie auch Predictive Maintenance genannt. Wie verhält es sich jedoch mit der Wirtschaftlichkeit eines Digitalen Zwillings?

Was ist ein Digitaler Zwilling?

Ein Digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild eines physischen Objekts oder Prozesses. Er kann Informationen aus der realen Umgebung sammeln, um das aktuelle und zukünftige Verhalten des physischen Zwillings darzustellen, zu validieren und zu simulieren. [1] Der Einsatz eines Digitalen Zwillings ist in der Regel mit einem Nutzen verbunden. Man erwartet durch den Einsatz eines Digitalen Zwillings zum Beispiel eine Verbesserung der Produktequalität oder eine Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit.

 

Was bedeutet «wirtschaftlich»?

Eine Anlage oder in diesem Fall ein Digitaler Zwilling ist wirtschaftlich, wenn der Output (der generierte Mehrwert des Digitalen Zwillings), grösser ist als der Input. Der Input kann vereinfacht mit den verursachten Kosten gleichgesetzt werden.

In der Literatur wird die Beurteilung, ob und wann ein Digitaler Zwilling wirtschaftlich sinnvoll ist, kaum beachtet. Entsprechend gibt es auch keine Beurteilungsgrundlage. Hier ist gerade für kleinere und mittlere Unternehmen die grosse Herausforderung, dass sich diese kaum auf ein finanzielles Experiment mit der Anschaffung eines digitalen Zwillings herauslassen möchten. Die Frage lautet, wie können die Kosten für einen Digitalen Zwilling bestimmt werden?

 

Wie können die Kosten für einen Digitalen Zwilling ermittelt werden?

Die Kosten können auf zwei unterschiedliche Weisen ermittelt werden. Der einfachere Weg ist, sich auf den Kostenvoranschlag eines Systemanbieters zu verlassen und mit diesem weiter zu rechnen. Der aufwändigere Weg ist, die Kosten von Grund auf zu ermitteln. Hierfür sind drei Kostenblöcke relevant: Die Investitionskosten (Hard- und Software), die Implementationskosten (Installation, Inbetriebnahme, Schulung) und die Kosten für den laufenden Betrieb (Lizenzkosten, Updates, Energiekosten).

Zusätzlich zu den drei Kostenblöcken, welche sich als direkte Kosten zusammenfassen lassen, gibt es noch die indirekten Kosten. Bei den indirekten Kosten handelt es sich um Faktoren, welche nicht direkt auf den Digitalen Zwilling abgewälzt werden können (Bsp. Kosten für Cybersicherheit).

 

Beurteilung des Nutzens eines Digitalen Zwillings

Bei der Beurteilung des Nutzens eines Digitalen Zwillings muss dessen Aufgabe (Nutzen) in den Vordergrund gestellt werden. Dieser kann zum Beispiel die Reduktion des Ausschusses oder zum andern die Reduktion von Stillstandzeiten beim Unterhalt der Maschine sein.

Betrachten wir konkret den Fall des Unterhalts einer Produktionsanlage / Maschine. Bei einer reaktiven Instandhaltung wird die Maschine erst nach einem Vorfall repariert. Mit anderen Worten, sobald es zu einem Vorfall kommt, steht die Maschine für die gesamte Zeit still, in welcher die administrativen Arbeiten oder auch die Beschaffung und Lieferungen von Ersatzteilen stattfinde. Ein Digitaler Zwilling ermöglicht hier nach dem Ansatz von Predictive Maintenance (Vorhersehender Unterhalt), dass die administrative und logistische Verzugszeit vor den eigentlichen Vorfall gezogen werden können. Dies ist möglich, da der Digitale Zwilling erkennt, dass sich ein Schaden abzeichnet und kann entsprechende Schritte initialisieren. Der Nutzen ist dabei die reduzierte Stillstandszeit der Maschine. Die verbleibende Stillstandszeit entspricht noch der Reparaturdauer. Der Nutzen wird durch die verringerte Stillstandszeit und daraus resultierende höhere Produktivität der Maschine erreicht.

 

Verfahren zur Berechnung des Nutzens eines Digitalen Zwilling

Zur Bestimmung des Kosten- und Nutzenverhältnisses beim Einsatz eines Digitalen Zwillings ist das Life Cycle Costing (LCC). Das Life Cycle Costing hat den Vorteil, dass die Geldflüsse jeweils in der anfallenden Periode abgebildet werden können. Auch wird der Zinseszins berücksichtigt. Bei der Berechnung des LCC kann in zwei Schritten vorgegangen werden. Im ersten Schritt wird eine grobe Prüfung mit einer reduzierten Anzahl Parametern durchgeführt. Hier sind typische Parameter beispielsweise die direkten Investitionskosten, Teile der Implementationskosten und bei den laufenden Kosten die Lizenz- und Updatekosten. Sobald der Net Present Value (NPV) einer LCC-Berechnung positiv ist, sind die minimalen Anforderungen an die Investition erfüllt.

 

Digitaler Zwilling – Ja oder Nein?

Die Entscheidung, einen Digitalen Zwilling zu implementieren, ist keine universelle und in jedem Szenario lohnende Investition. Vielmehr bedarf es einer sorgfältigen Prüfung und Analyse, um festzustellen, ob sich die spezifische Investition tatsächlich lohnt. Die Berechnungen im vorhergehenden Abschnitt zeigen, dass ein bestimmter "Sweet Spot" erforderlich ist, um die Investition zu rechtfertigen. Dieser Sweet Spot bezieht sich auf eine ideale Kombination von Parametern. Gerade im Hinblick auf kleinere und mittlere Unternehmen könnte ein Digitaler Zwilling als Service von Interesse sein, da das Risiko und die Kosten für die Entwicklung an einen Systemlieferanten ausgelagert werden können. Wichtig ist jedoch, dass sich auch kleinere Unternehmen mit der Technologie des Digitalen Zwillings auseinandersetzen. Dieses kann nicht ganz ohne Investitionen erfolgen, bei denen kein unmittelbarer Nutzen erfolgt. Es ist jedoch eine wichtige Investition in die Zukunft, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen.

 

Literatur

[1] M. Grieves, «Digital Twin: Manufacturing Excellence through Virtual Factory Replication», März 2015.

[2] Siemens, SIMATIC Industrie-PC SIMATIC IPC427E Betriebsanleitung. 2021. [Online]. Verfügbar unter: cache.industry.siemens.com/dl/files/190/109742190/att_898591/v1/ipc427e_operating_instructions_deDE_de-DE.pdf

[3] AEW Energie AG, «Strom für Privat- und Gewerbekunden mit steuerbaren Verbrauchern». Juli 2023. [Online]. Verfügbar unter: www.aew.ch/sites/default/files/2023-08/AEW_Comfort_2024.pdf

[4] D. Mourtzis, E. Vlachou, N. Milas, und N. Xanthopoulos, «A Cloud-based Approach for Maintenance of Machine Tools and Equipment Based on Shop-floor Monitoring», Procedia CIRP, Bd. 41, S. 655–660, Jan. 2016, doi: 10.1016/j.procir.2015.12.069.

 

Zum Autor

Prof. Markus C. Krack ist am Institut für Business Engineering der Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg-Windisch für das Forschungsgebiet Smart Factory verantwortlich. Ein Schwerpunkt bildet hierbei der Digitale Zwilling. Neben seiner Forschungstätigkeit leitet er im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen die Vertiefungsrichtung «Supply Chain & Production Management» und ist Studiengangleiter der Weiterbildung «CAS Digital Industry»

Prof. Markus C. Krack
Fachhochschule Nordwestschweiz
Institut für Businessengineering
Bahnhofstrasse 6
CH-5210 Windisch
+41 56 2027879

markus.krack@remove-this.fhnw.ch

Exemplarisch wurde eine Berechnung für den Einsatz eines Digitale Zwillings für ein Fräsmaschine mittels Life Cycle Costing durchgeführt. Dazu wurden die folgenden Parameter verwendet. Für die Berechnung wurden drei Szenarien definiert. Das erste Szenario ist, dass der Digitale Zwilling nur für eine einzelne Fräsmaschine umgesetzt wird. Bei diesem Szenario wird kein positiver NPV erreicht und somit ist die Investition nicht wirtschaftlich. Auch eine Reduktion der Entwicklungskosten um 20 Prozent oder CHF 20'000 ändert das Resultat nicht zu einem positiven NPV. In einem zweiten Szenario wird der Zwilling für mehrere baugleiche Maschinen eingesetzt. Hier ergibt sich ein positiver NPV ab 7 Maschinen, welche mit digitalen Zwillingen ausgestattet sind. Das dritte Szenario ist ein digitaler Zwilling als Service (Digital Twins as a Service). Auf dem Markt gibt es noch keinen Digitalen Zwilling als Service, daher wird der Höchstbetrag errechnet, welcher der Digitale Zwilling pro Jahr kosten darf. Diese basiert auf der Berechnung der Annuität. Diese Annuität liegt bei rund CHF 1'740 pro Jahr. Wird dieser Wert nicht überschritten, können Digitale Zwillinge bereits bei der Installation an einer Maschine einen monetären Nutzen erbringen.
Reaktiver versus vorhersehenden Unterhalt
Gesamtkosten eines Digitalen Zwillings

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.