Was für Hauptthemen wurden von dir an der #HM2023 angesehen?
Matthias:
Die Hannover Messe bietet eine grosse Vielfallt an Themen und Bereichen. Für mich standen die Trends und der Fokus im Bereich Digitalisierung und Industrie 4.0 im Vordergrund. Ich habe mich darin auf die Schwerpunkte Digitaler Zwilling, Standardisierung und Rückverfolgbarkeit konzentriert. Der Digitale Zwilling ist auch Fokusthema an vielen Ständen und in diversen Vorträgen. Es kommt einem vor, als will jeder einen Digitalen Zwilling haben und zeigen. Die jeweilige Definition dessen, variiert jedoch sehr stark. So sind bei den einen schon Digitale Zwillinge das Thema, wenn nur eine Anbindung einer Maschine oder eines Assets an ein System besteht; bei anderen gibt es komplette digitale Abbildungen mit Datenaustausch und Regulierungen und dies in unterschiedlichen Bereichen wie Energie, Urbanität, Mobilität, Simulation, usw. Durch diese grosse Vielfallt kommt automatisch die Frage nach Standards auf. Hier reichen die Themen von Kommunikationskanälen (AML), über Verwaltungsschalen (AAS) bis hin zu Protokollen (OPC UA) und vielem mehr. Der absolute Wunsch-Grundsatz richtet sich nach einer Lösung für ein "Plug & Produce", also anstecken und die Maschine produziert - real und als Digitaler Zwilling. Hier wird der Ansatz des Druckers zugrunde gelegt, welcher an einen beliebigen PC angeschlossen werden kann und dann einfach funktioniert. Um dies zu erreichen stehen noch sehr viele Absprachen und Arbeit bevor. Ein erster Vorstoss ist in einem Diskussionspapier ( https://industrialdigitaltwin.org/wp-content/uploads/2023/04/Diskussionspapier-Zielbild-und-Handlungsempfehlungen-fuer-industrielle-Interoperabilitaet-5.3.pdf) zusammengefasst worden.
Das primäre Ziel bei einem Digitalen Zwilling sind immer die Daten, welche fliessen bzw. aufgenommen werden können. Auf diesen basieren dann die unzähligen Möglichkeiten an weiterführenden Umsetzungen. Eine entscheidende Information, welche aus Daten ermittelt werden kann ist die Rückverfolgbarkeit. Dies nicht nur, um bei einem Versagen eines Bauteils eine Ursachenanalyse zu starten und den Verursacher zu finden, sondern auch um Daten für Nachweise und Bestätigungen zu erhalten. Dies ist im Zusammenhang mit dem Energieverbrauch oder dem CO2-Fussabdruck eines der grossen Themen an der #HM2023. Hervorgerufen durch immer grössere Netzwerke und Zusammenschlüsse (z.B. Gaia-X), aber auch durch Regulierungen und Vorschriften, welche nach und nach eingeführt bzw. gefordert werden.
Philip:
Das Themenspektrum an der HM ist gigantisch. Als vielseitig interessierter Mensch gerät man schnell in einen «Overflow». Ich habe deshalb versucht mich auf die Themen Cyber Security, Künstliche Intelligenz (KI) und die grünen Themen wie Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit zu fokussieren.
Cyber Security: In Deutschland gibt es weit mehr Anlaufstellen mit niederschwelligen Angeboten für Cyber Security für KMU als in der Schweiz. Da haben wir dringend Nachholbedarf. Ein starker Fokus lag auch verständlicherweise auf der Cyber Security für Produktionsumgebungen (OT-Security). In solchen Umgebungen herrschen andere Bedingungen. Die Sensibilisierung der Firmen ist deshalb enorm wichtig. Des Weiteren wird bezüglich Regulatorien noch eine Menge auf die Firmen zukommen (Beispiel CE-Konformität).
KI: Aus meiner Sicht hat das Thema KI ein neues Maturitätslevel erreicht. Die Anwendungen sind extrem vielseitig und zahlreich. KI ist in der produzierenden Industrie längst angekommen. Die Diskussion hat sich demnach von der Einzelanwendung auch wegverlagert hin zu Auswirkungen von KI in einem grösseren Kontext: Vertrauensvolle KI, Regulative Massnahmen, Eliminierung von Fachkräften, Abhängigkeiten von grossen Techfirmen usw.
Grüne Themen: Diese Themen haben, verglichen mit der letztjährigen Hannover Messe, sehr an Fahrt aufgenommen. Ein Beispiel sind die Angaben des CO2-Footprints von Produkten, die von Kunden aber auch regulatorisch gefordert werden. Dazu gibt es bereits zahlreiche Lösungen, die die Firmen von der administrativen Überlast befreien.
Pascal:
Die nach der schwierigen Pandemiezeit erste grosse Hannover Messe bot mit über 4'000 Ausstellenden viel Breite und Tiefe im Spannungsbogen Vision bis zur konkreten Umsetzung. Für mich standen Manufacturing X, Innovationsförderung und Technologie-Transfer von Space in die Industrie im Fokus.
Manufacturing X ist eines der grossen und visionären Themen auf der #HM2023. Eine Initiative, die sich dem Ansatz der nachhaltigen Wertschöpfung verschrieben hat und gemeinsam mit Partnern an der Datenbasis der Zukunft für die Industrie arbeitet. Die Herausforderungen sind dabei vielfältig und reichen von der Energieversorgung bis hin zur Relevanz der Branche im digitalen Wettbewerb.
Eine wichtige Rolle spielt hierbei der digitale europäische Binnenmarkt im Vergleich zu den USA und anderen Wettbewerbern. Systemwettbewerb, getrieben durch Innovation, ist ein zentraler Aspekt, denn ohne Digitalisierung gibt es keine Innovation. Dabei müssen große Systemintegratoren und kleine Experten gemeinsam arbeiten, um Skaleneffekte zu erzielen, aber auch individuelle Lösungen zu finden.
Souveräne Datenräume sind hierbei unverzichtbar, um eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Es besteht das Potential für eine kleine industrielle Revolution, jedoch nur in Partnerschaft mit Mitbewerbern. Security by Design und Vertrauen sind essenziell für sichere Datenräume in Manufacturing X.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Monetarisierung von Daten, insbesondere für neue digitale Geschäftsmodelle, wo Manufacturing X mit einer kosteneffektiven Datenintegration eine Lösung bietet. Skaleneffekte dank digitalem Pass und Fussabdruck dienen als Basis zur Zusammenarbeit unter allen Marktteilnehmenden. Die DNA ist dabei nicht länger eine Abgrenzung, sondern die Basis für Kooperationen.
Konzerne und Grossunternehmen treiben die Initiative an, der Staat probiert die Rahmenbedingungen optimal auszugestalten. Bis die Initiative und Plattform bei KMU ankommt, wird es noch etwas dauern. Interessant aber sicher, zum im Auge zu behalten.
Bei der Innovationsförderung stehen in Deutschland die weitere Verbesserung der Rahmenbedingungen im Vordergrund. Aufgrund des akuten Fachkräftemangels wird über diverse Aktivitäten in der Innovationsförderung probiert, das Problem technologisch anzugehen. Dabei überschneiden sich diverse Angebote auf Bundes- und Landesebene. Ein Wandel hin zu gezielt an die Standortfaktoren angepasste Spezialisierung (wie z.B. Batterien, Chips etc.) ist erkennbar. Dabei entstehen interessante Netzwerke und Partnerschaften.
Dem Thema Space Technology war besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Spannend für unsere Community ist der Transfer der Technologie in die Industrie. Für die Raumfahrt werden enorme Investitionen freigesetzt, sowohl staatliche wie private, welche relevante Entwicklungen und Innovationen hervorgebracht haben und bringen werden. Ein Uplifting Transfer in die Industrie ist dabei durchaus realisierbar. Die Raumfahrt ist auch ein Datenbusiness, wo die Industrie sowohl bezüglich Infrastruktur und Auswertung / Verwendung profitieren kann. Beispielsweise mit der Auswertung von Satellitendaten zum Farming bezüglich Wasser oder Schädlingsbekämpfung.
Wie können deine Fokusthemen in die Gefässe von «Industrie 2025» einfliessen?
Matthias:
Die grosse Herausforderung für viele KMU wird sein, diese diversen Begriffe, Technologien und Standardisierungen einordnen und ihren Nutzen herausfinden zu können. Hier sehe ich die Anknüpfung von Industrie 2025, um dies den Unternehmen in der Schweizer KMU-Landschaft näher zu bringen und sie auf dem Weg zu begleiten. Durch unsere Partner, die sich als Anbieter solchen Themen Tag für Tag annehmen, können wir die nötige Basis schaffen, um die Unternehmen in dieser Thematik zu unterstützen. Dies nicht nur, um generell einen Schritt in der Transformation weiter zu kommen, sondern auch um den Forderungen und Regulierungen nach zu kommen.
Philip:
Cyber Security: Das Angebot von Not-for-profit Anlaufstellen werden wir auch für die Produktionsfirmen auf dem Werkplatz Schweiz verfügbar machen. Vieles ist bereits vorhanden. Es gilt nur dieses über unsere Gefässe in die CH-Industrie zu bringen. Zudem sehe ich eine Sensibilisierung der Firmen bezüglich möglichen Regulatorien und insbesondere in den Themen OT, IoT und Software Security.
KI: Industrie 2025 ist sehr nahe bei den Firmen. Darum setzen wir weiterhin darauf gute Beispiele von KI-Anwendungen zu zeigen.
Grüne Themen: Wir müssen die Firmen bezüglich Regulatorien vorbereiten und ihnen auch Wege und Lösungen aufzeigen, wie Digitalisierung helfen kann, den Aufwand zu minimieren.
Pascal:
Manufacturing X werden wir gemeinsam mit den Partnern auf dem Radar behalten, sobald sinnvoll entsprechend informieren und in unsere Gefässe einfliessen lassen. Beim Technologietransfer Raumfahrt in die Industrie gibt es Potentiale für konkrete Austauschgefässe, welche wir prüfen. Und bei der Innovationsförderung arbeiten wir mit Hochdruck dran, der Industrie ideale Unterstützungsmöglichkeiten anzubieten.
Was war dein persönliches Highlight an der #HM2023?
Matthias:
Für mich war der Austausch mit Experten und anderen Institutionen aus dem Bereich Digitalisierung sehr wichtig und gewinnbringend. Das Highlight war aber die surrealen Begegnungen mit dem "Robotic Handshake" und dem zugelaufenen "Hund aus der Zukunft". Es zeigt einem auf, was schon alles möglich ist, scheint aber trotzdem noch sehr fremd und futuristisch.
Philip:
Für mich ist die Hannover Messe generell ein Jahreshighlight. Auf engem Raum kann man sich schnell über Digitalisierungs- und andere aktuelle Themen informieren. Ich kann allen einen Besuch nur empfehlen.
Pascal:
Die Inhalte, sprich der Content, zusammen mit dem breiten Publikum bot einmal mehr die Gelegenheit, sein Wissen und Netzwerk gezielt zu stärken und neue spannende Begegnungen zu ermöglichen - geplant oder zufällig.