Mit dem Ansatz Pay-per-Part hat TRUMPF ein Geschäftsmodell lanciert, welches eine neue Art der Nutzung von Laservollautomaten bietet. Ist dieses Geschäftsmodell aus Sicht der Digitalisierung entstanden?
Panos Dimitropoulos: Ja, ganz klar, das sogenannte EaaS-Geschäftsmodell (Equipment-as-a-Service) ist unser Flaggschiff im Bereich der Digitalisierung, vor allem deshalb, weil dieser Service die sichtbare "Spitze des Eisbergs" einer Vielzahl von digitalen Kompetenzen, Systemen und Infrastrukturen ist, die TRUMPF in den letzten Jahren konsequent und systematisch auf- und ausgebaut hat und an denen viele Expertinnen und Experten weltweit seit langem arbeiten. Dazu hat auch der Standort Schweiz einen wichtigen Beitrag geleistet, worauf wir besonders stolz sind.
Ein umfassender Machine-Vision-Baukasten, innovative Edge-Devices und modernste IoT-Technologien ermöglichen beispielsweise die Fernsteuerung und -überwachung unserer Anlagen von unserem Remote-Operations-Center aus. Umfangreiche WEB-Services auf Basis unserer bewährten CAM- und MES-Systeme informieren unsere Kunden über aktuelle Produktionskosten und mögliche Liefertermine – die Basis für ein präzises Angebot.
Diese vielfältigen digitalen Infrastrukturen werden genutzt, um das Geschäftsmodell (sowie andere) zu ermöglichen – und sie funktionieren einwandfrei.
Auf welche weiteren Digitalisierungsprojekte hat TRUMPF in den letzten Jahren gesetzt?
Panos Dimitropoulos: Bei TRUMPF nehmen wir das Thema Digitalisierung sehr ernst: Jeder Prozess bei TRUMPF wird im wahrsten Sinne des Wortes mit dem passenden digitalen Tool orchestriert und verfolgt, um unsere Wertschöpfung effizienter und nachhaltiger zu gestalten. So ist es uns beispielsweise gelungen, die Engpässe in der Lieferkette in der Zeit nach der Pandemie zu überwinden. Zum anderen entwickeln wir digitale Softwareprodukte und Dienstleistungen, die unseren Kunden helfen, ihre Blechfertigung zu automatisieren, zu skalieren und zu flexibilisieren, um die Vorteile der fünften industriellen Revolution zu nutzen und deren Herausforderungen zu meistern. Neben der oben erwähnten EaaS-Infrastruktur könnten wir noch einige weitere Systeme aufzählen.
Mit unserer «ONUP» Infrastruktur haben wir beispielsweise als erster Maschinenbauer weltweit unsere Maschinen und Automatisierungssysteme Cloud- und Online-Update-fähig gemacht: So können unsere Kunden ihre Maschinen und Anlagen jederzeit auf dem neuesten Stand halten und von hocheffizienten Wartungs- und Supportleistungen profitieren.
Mit unserem «HMI+» Framework haben wir unsere Maschinen "smarter" gemacht. Mit Hilfe von KI- und Machine-Vision-Technologien sind unsere Maschinen in der Lage, sich selbst zu programmieren, zu planen und die optimale Schneidtechnologie auszuwählen.
Mit unseren Software-Suiten «OSEON» und «Factory Controller» können unsere Kunden ihre Laser- und Stanzmaschinen, Abkantpressen und Schweißanlagen zu individuellen Zellen verbinden, die ihre kundenspezifischen Wertschöpfungsprozesse realisieren. Der Materialfluss wird digital gesteuert bzw. überwacht und erfolgt über automatisierte Lagersysteme, Be- und Entladeautomation, fahrerlose Transportsysteme (FTS/AGV), Biege- und Sortierroboter oder direkt verkettete Förderbänder.
Beide Software-Suiten ermöglichen es digitalen Fabriken, sich selbst agil zu planen. Mit Hilfe von Reinforcement-Learning-Algorithmen werden aus ERP/MES-Produktionsplänen Feinpläne generiert, die die OEE der gesamten Fabrik unter Berücksichtigung der aktuellen Lager- und Maschinenzustände optimieren.
Der Sicherheitsaspekt der Anlagen im Bereich von OT-Security wird ein wesentlicher Bestandteil jedes Maschinenverkaufes. Wie hat TRUMPF sich diesem Thema angenommen?
Panos Dimitropoulos: Wir implementieren eine innovative IT/OT-Architektur, die alle Aspekte des Datenaustausches auf allen Ebenen nach dem neuesten Stand der Technik sicherstellt: Die Ethernet-Netzwerke innerhalb einer Maschine, einer Zelle oder der gesamten Fabrik sind beispielsweise durch Gateways ggf. Demilitarized Zones abgesichert, die Dienste identifizieren sich und tauschen verschlüsselte Daten mit Hilfe digitaler Zertifikate, sogenannter "Digital Identities", aus. Verbindungen in die Cloud werden überwacht und Kundendaten sicher gespeichert.
Die IT/OT-Sicherheit betrifft aber auch die Prozesse, mit denen wir bei TRUMPF Daten verwalten – und auch hier investieren wir viel Zeit und Ressourcen: Die Integrität und die Verfügbarkeit von Kundendaten sind neben ihrer Vertraulichkeit wichtige Aspekte der IT/OT-Security. Alle Systeme bei TRUMPF sollen dem EU-Data-Act entsprechen.
Welche Technologieaspekte sieht TRUMPF im Zusammenhang von Digitalisierung und Industrie 4.0 als zentral für die Industrie der nächsten Monate/Jahre?
Panos Dimitropoulos: Ganz klar: Machine-Vision und künstliche Intelligenz - und damit meine ich nicht ausschließlich die in letzter Zeit in aller Munde befindliche "Generative AI" (ChatGPT).
Beide Technologien werden die Art und Weise revolutionieren, wie Werkzeugmaschinen und Automatisierungsanlagen gesteuert werden: Maschinen werden bald in der Lage sein, ihre Umgebung wahrzunehmen und darauf zu reagieren, indem sie ihre Bewegungen ad hoc planen und anpassen.
Beide Technologien werden auch die Art und Weise revolutionieren, wie Werkstätten geplant und gesteuert werden: Feste Produktionspläne und die "top-down" vorgeplante Ausführung werden durch agile KANBAN-Ansätze ersetzt.
Die künstliche Intelligenz wird generell die Art und Weise, wie Software entsteht revolutionieren, nämlich seine Entwicklung, Debugging, Dokumentation und Testing beschleunigen.
Die Grösse von TRUMPF in Grüsch zeigt ein klares Zeichen zum Standort. Ist der Standort Grüsch in Bezug auf Fachkräfte und Nachwuchs kein «Risiko»?
Panos Dimitropoulos: Während der Pandemie hat sich das Arbeiten von zu Hause aus bewährt. In der Post-CORONA-Ära hat sich das agile Arbeiten im Home-Office etabliert und TRUMPF bietet eine Vielzahl von flexiblen Arbeitsmodellen an. So ist es heute durchaus möglich, in Zürich zu wohnen und in Grüsch zu arbeiten, wie ich das mache. Zudem bietet TRUMPF seinen Mitarbeitenden mit Bottighofen (TG) und Baar (ZG) zwei weitere Standorte an.
Andererseits ist das Prättigau dank der Rhätischen Bahn sehr gut erschlossen – und was gibt es Schöneres, als nach acht Stunden intensiver Arbeit die Langlaufloipe, eine Abfahrt vom Parsenn oder Jacobshorn ggf. eine Hochtour auf Madrisa zu geniessen?
Hightech aus Graubünden wird durch TRUMPF gelebt. Gilt dies auch in Bezug zur internen digitalen Transformation?
Panos Dimitropoulos: Ja, auf jeden Fall. Der Standort TRUMPF Schweiz ist voll in die digitale Welt der Gruppe integriert, sehr oft sogar als Vorreiter. Wie meine Kolleginnen und Kollegen aus der IT hier in der Schweiz die Engpässe in der Supply Chain während der Pandemie mit digitalen Lösungen gemeistert haben, ist beeindruckend und macht uns alle stolz.
Wie ist dies im Unternehmen spürbar?
Panos Dimitropoulos: Der Standort TRUMPF Schweiz ist (auch) dank unserer voll digitalisierten Prozesse und trotz des höheren Lohnniveaus äusserst effizient, profitabel und wettbewerbsfähig – und das ist eher spürbar.
Zum Abschluss, welche drei Tipps geben Sie unseren Lesenden mit, für deren Weg der digitalen Transformation?
Panos Dimitropoulos:
- Die digitale Transformation erfordert eine solide Strategie und eine klare Vision der Ziele, die jedes Unternehmen damit erreichen will. Sie muss eher als konkrete Transformation mit messbaren Ergebnissen gelebt werden, um wirksam zu sein und akzeptiert zu werden.
- Sie setzt auch ein klares Mandat der Unternehmensleitung, viel Geduld und eine breite Unterstützung innerhalb der Organisation voraus. Die digitale Transformation ist kein Sprint, sondern ein Marathon, an dessen Themen systematisch gearbeitet werden muss.
- Nicht zuletzt erfordert sie ein «out of the box» Denken, Kreativität und Mut. Die Tatsache, dass ein System «zwanzig Jahre lang so funktioniert hat», ist kein Vorteil für das System, sondern eindeutig ein Fehler, den die Organisation so schnell wie möglich beheben muss; die Welt dreht sich schneller, als wir es im Alltag wahrnehmen können.