Was sind die Schlüsselelemente eines erfolgreichen digitalen Geschäftsmodells?
Jan-Hendrik Meier: Generell beschreibt das Geschäftsmodell, wie ein Unternehmen einen Nutzen für Kunden generiert und diesen in Erlöse verwandelt. Die Geschäftsmodelle der Industrie beruhen traditionellerweise auf dem Verkauf von Produkten, Komponenten, Maschinen oder Anlagen. Unternehmen, die ein digitales Geschäftsmodell lancieren, fokussieren hingegen auf Dienstleistungen und greifen auf technische Lösungen zurück, welche ihnen in der heutigen digitalen Welt zur Verfügung stehen. Dabei kommen neue Technologien wie zum Beispiel das Internet of Things (IoT) zum Einsatz, um für Kunden neuartige Mehrwerte und wiederkehrende Erlöse zu generieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf datengetriebenen Lösungen, die mit einem «As-a-service»-Ansatz» angeboten werden.
Was sind typische Herausforderungen bei der Einführung eines solchen Geschäftsmodells?
Jan-Hendrik Meier: Die grössten Stolpersteine bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle finden sich im Unternehmen selbst. Dabei sind es aber nicht etwa fehlende Mittel oder komplexe Prozesse, welche die Umsetzung erschweren. Gemäss der Industrie 2025 Studie zum Thema «Denken in digitalen Geschäftsmodellen» fehlen am häufigsten die erforderlichen Kompetenzen und oft auch eine entsprechende Strategie. Ein Hemmschuh ist zudem häufig die Unternehmenskultur: Digitale Lösungen stossen in einem konservativen Umfeld oftmals auf zu wenig Akzeptanz, da das Mindset noch zu sehr auf die klassische Produktentwicklung ausgerichtet ist. Teilweise hindert aber auch die Kultur der Kunden, beispielsweise die fehlende Bereitschaft, Daten zu teilen, die Umsetzung datengetriebener Dienstleistungen.
Wie können sie überwunden werden?
Jan-Hendrik Meier: Elementar ist eine flexible Haltung des Unternehmens, um auf sich ändernde Marktbedingungen und Technologien reagieren zu können. Dazu gehört das regelmässige Einsammeln von Feedback und das kontinuierliche Anpassen der eigenen Ansätze. Zunächst ist die digitale Transformation zwar oft mit erheblichen Anfangsinvestitionen verbunden, welche aber durch sorgfältige Planung und Budgetierung, eventuell durch Investorensuche oder staatliche Förderprogramme, getragen werden können. Der mögliche Widerstand gegen Veränderungen seitens der Mitarbeiter bedarf einer klaren Kommunikation und Schulungen, um das Personal (insbesondere des Vertriebs) frühzeitig in den Transformationsprozess einzubinden und die Vorteile der neuen digitalen Ansätze zu verdeutlichen. Um den Anforderungen an Datenmanagement und Sicherheit gerecht zu werden, müssen Unternehmen in robuste Sicherheitssysteme und Datenschutzrichtlinien investieren und sicherstellen, dass alle gesetzlichen Anforderungen eingehalten werden.
Welche Bedeutung hat die Kundenbindung bei der Entwicklung und Implementierung eines digitalen Geschäftsmodells?
Jan-Hendrik Meier: Die Kundenbindung ist aus mehreren Gründen bei der Entwicklung und Implementierung eines digitalen Geschäftsmodells von grosser Bedeutung: Kunden, die sich einem Unternehmen verbunden fühlen, tendieren dazu, dieses für zukünftige Einkäufe zu bevorzugen. Unternehmen, die erfolgreich eine emotionale Bindung zu ihren Kunden aufbauen und erhalten, setzen sich häufig von ihren Mitbewerbern ab. In einem volatilen Marktumfeld bietet eine solide Basis loyaler Kunden ausserdem eine gewisse Stabilität und Vorhersehbarkeit für das Geschäft.
Gute Kundenbindung kann ausserdem die Akquisitionskosten senken, da die Gewinnung von Neukunden häufig teurer ist als das Halten bestehender Kunden. Durch effektive Kundenbindungsstrategien können Unternehmen ihre Marketingkosten sogar reduzieren, da loyale Kunden auch als Botschafter der Marke fungieren können, die neue Käufer durch Mundpropaganda anziehen.
Treue Kunden sind zudem eher geneigt, Daten und Informationen zu teilen und Feedback zu geben, was essenziell für das kontinuierliche Verbessern digitaler Produkte und Dienstleistungen ist. In digitalen Geschäftsmodellen, wo der Wettbewerb nur einen Klick entfernt ist, spielt die Loyalität eine entscheidende Rolle, um den Umsatz aufrechtzuerhalten und zu steigern. Letztendlich wirkt sich die Kundenbindung auch auf das Wachstum aus und sichert das digitale Geschäftsmodell nachhaltig.
Welchen Rat würden Sie Unternehmen geben, die planen, neue digitale Geschäftsmodelle zu implementieren? Gibt es bestimmte Strategien oder Vorgehensweisen, die Sie empfehlen?
Jan-Hendrik Meier: Ich empfehle hier mehrere Strategien je nach Unternehmen, um die Chancen der digitalen Transformation voll auszuschöpfen und nachhaltigen Erfolg zu sichern. Neben der Kundenbindung ist generell der Fokus auf den Kunden essenziell: Beginnen Sie mit einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse und Erwartungen Ihrer Zielkunden. Datenanalyse und Marktforschung können dabei helfen, sicherzustellen, dass das digitale Angebot einen echten Mehrwert bietet. Dabei sollten Sie digitale Geschäftsmodelle von Anfang an mit Blick auf Skalierbarkeit entwickeln – sowohl bezüglich des Geschäftsmodells als auch der technologischen Infrastruktur, damit Sie mit zunehmendem Kundenstamm effizient wachsen können. Falls Technologiekompetenzen noch nicht genügend vorhanden sind, sollten Unternehmen in entsprechendes Know-how investieren und bestehende Mitarbeiter schulen. Methodisch helfen agile Entwicklungsmethoden wie Scrum oder Kanban, um flexibel und anpassungsfähig zu sein und Produkte iterativ zu entwickeln bzw. kontinuierlich zu verbessern. Es ist daher wichtig, eine Unternehmenskultur zu fördern, die das stützt und auf A/B-Tests, Pilotprojekte und Feedbackschleifen setzt.
Dazu gehört auch das Wissen, dass man nicht alles im Alleingang erreichen kann. Zugang zu neuen Technologien, Märkten oder Fachwissen kann auch durch Partnerschaften oder Kooperationen erlangt werden. Ergänzende Stärken können Ihr digitales Angebot nachhaltig verbessern.
Welche Rolle spielt das Change Management in diesem Prozess?
Jan-Hendrik Meier: Gutes Change Management sorgt dafür, dass die Einführung digitaler Geschäftsmodelle weniger disruptiv und effektiver ist, indem es die Organisation stützt, die Mitarbeiter einbindet und den gesamten Veränderungsprozess professionell steuert. Es umfasst die systematische Planung, Steuerung und Überwachung von Veränderungsprozessen innerhalb einer Organisation, die dazu beitragen, den Übergang von traditionellen zu digitalen Geschäftspraktiken effektiv zu managen.
Bereits in der Vorbereitung hilft es dabei, die gesamte Organisation auf bevorstehende Veränderungen vorzubereiten. Dies schliesst die Sensibilisierung für die Notwendigkeit des Wandels und das Verständnis für die Vorteile des neuen digitalen Geschäftsmodells ein. Klare und offene Kommunikation helfen dabei, Widerstände zu minimieren und Unterstützung auf allen Ebenen zu sichern. Detaillierte Kommunikationspläne stellen das Einbeziehen sowie die regelmässige Information aller Mitarbeiter und Stakeholder sicher. Mögliche Widerstände werden durch das Change Management identifiziert und durch gezielte Massnahmen adressiert.
Da Prozesse und Strukturen angepasst an das digitale Geschäftsmodell angepasst werden müssen, kann Change Management dabei helfen, diese Änderungen zu planen, durchzuführen und zu überwachen. Das Setzen klarer Ziele und die Bewertung der Fortschritte durch Key Performance Indicators (KPIs) hilft ausserdem, den Fortschritt zu bewerten und den Erfolg des Wandels zu messen.
Wie sehen Sie die Zukunft digitaler Geschäftsmodelle in der Industrie? Gibt es bestimmte Trends, die Unternehmen im Auge behalten sollten?
Jan-Hendrik Meier: Wir sehen vermehrt eine «Servitisation» im Maschinenbau mit einer Verschiebung von Produkterlösen hin zu Dienstleistungserlösen. Der Kunde und dessen Bedürfnisse rücken damit weiter in den Mittelpunkt. Unternehmen, die lernen, Daten effektiv zu nutzen, können schneller auf Marktanforderungen reagieren und personalisierte Lösungen bieten. Die Zukunft digitaler Geschäftsmodelle in der Industrie und im Maschinenbau sieht vielversprechend aus, und es gibt mehrere Trends, die Unternehmen beachten sollten, um Innovationen voranzutreiben. So ermöglichen Industrie 4.0 und das Internet der Dinge (IoT) es Maschinen, Daten in Echtzeit zu erfassen und zu analysieren. Das führt zu besseren Betriebsabläufen, präziser Wartung und höherer Effizienz. Big Data und Analytics können dabei helfen, Produktionsausfälle zu minimieren, die Qualität zu verbessern und die Nachfrage besser vorherzusagen. Ein digitaler Zwilling kann als virtuelles Modell einer Maschine oder eines Systems für Simulationen, Analysen und Optimierung verwendet werden, um Produktentwicklungen zu beschleunigen, Prozesse zu simulieren und Wartungsaufgaben zu planen, bevor physische Tests notwendig sind. Künstliche Intelligenz kann in der Produktentwicklung, in der Produktionssteuerung und in der Qualitätskontrolle eingesetzt werden. Maschinelles Lernen ermöglicht es Maschinen, aus Erfahrungen zu lernen und ihre Leistung kontinuierlich zu verbessern, was besonders in komplexen Fertigungsumgebungen von Vorteil ist.
Mit der zunehmenden Vernetzung von Maschinen und Geräten steigt jedoch auch das Risiko von Cyberangriffen. Unternehmen müssen in robuste Sicherheitssysteme investieren, um Daten zu schützen und die Integrität ihrer Betriebsabläufe zu gewährleisten.
Letztendlich spielen digitale Technologien eine entscheidende Rolle dabei, nachhaltigere Produktionsmethoden zu entwickeln und zu implementieren sowie wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch verbesserte Überwachung und Steuerung von Ressourcen können die Effizienz gesteigert und der Energieverbrauch gesenkt werden.
Sie sind Co-Leiter des neuen Praxiszirkels «Digitale Geschäftsmodelle» von Industrie 2025. Was ist das Ziel dieses Angebots? Wer kann von einer Teilnahme profitieren?
Jan-Hendrik Meier: Das Format legt Wert auf theoretische Einblicke, Inspiration und den Austausch über digitale Themen, sowie die Möglichkeit, eigene Ideen oder Projekte vorzustellen und wertvolles Feedback von Unternehmensvertretern und Industriepartnern zu erhalten. Das Ziel ist die Schaffung einer Community, die über die eigentlichen Veranstaltungen hinaus bestehen bleibt und den Werkplatz Schweiz stärkt. „Digitale Geschäftsmodelle“ ist ein weit gefasster Begriff in der Industrie, der in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat und schwer zu definieren ist. Die Teilnehmenden können voneinander lernen und ein gemeinsames Verständnis entwickeln. Es ist ebenfalls von Interesse, zu erkunden, wie das Thema strategisch in den Unternehmen verankert ist und wie dieses umfangreiche Themenfeld konkret angegangen wird. Zudem wird ein intensiver Austausch über spezifische Anwendungsfälle und neue Ansätze gefördert.
«In einer Ära, in der neue Technologien und Daten unseren Alltag durchdringen, erkennen immer mehr Führungskräfte die entscheidende Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle. Doch zu oft sehen wir, dass besonders in von Eigentümern geführten Unternehmen die Digitalisierung lediglich als technologisches Unterfangen betrachtet wird. Das greift jedoch zu kurz. Um sich wirklich digital zu transformieren, müssen sie anfangen, digital zu denken. Dies erfordert nichts Geringeres als einen grundlegenden Kulturwandel – einen Wandel, der tief in unserem Verständnis und unseren täglichen Praktiken verankert sein muss.» Jan-Hendrik Meier, Director Strategy&